Keine Frage, Massenproduktion bringt viele Vorteile. Hier und heute sind wir es gewohnt, dass Kleidung für alle im Überfluss vorhanden ist. Gerade im Textilbereich hat es die industrielle Revolution ermöglicht, dass sogar die weniger Wohlhabenden unter uns mit erschwinglichen Konsumgütern versorgt werden können. Das war nicht immer so. Allzu deutlich kommen nun aber einige gravierende Nachteile zum Vorschein, die wir im frühen 21. Jahrhundert nicht weiter ignorieren können. Intakte Umwelt, Gesundheit und menschliches Wohl lassen sich kaum länger als ‚notwendige Abstriche‘ für Produktivitätssteigerung und wirtschaftlichen Aufschwung betrachten. Ein blindes Vertrauen in das Verantwortungsbewusstsein von Produktionsunternehmen können wir uns als Konsument*innen immer weniger leisten. Auch macht die strikte Trennlinie zwischen Hersteller und Verbraucher heute immer weniger Sinn, nicht nur im Hinblick auf digitalen Media-Content oder Data-Mining.
Gerade wenn’s um klassische Konsumgüter geht, die uns besonders ‚nahe gehen‘ (z.B. Nahrungsmittel, Kosmetikartikel oder eben Bekleidung) macht uns auffallender Weise eine gewisse Entfremdung zu deren Herstellungsprozess am deutlichsten zu schaffen – wenn wir uns ‚out of touch‘ fühlen mit diesen Teilen unserer näheren Umgebung, handeln wir auch dementsprechend. Wir nehmen dann eher nur die sehr kurze Zeitspanne war, in der sie uns vielleicht einen angenehmen Kick als ‚etwas Neues‘ verleihen, wirkliche Überlegungen woher sie kommen oder wohin sie gehen wären dabei nur unangenehm belastend.
Andererseits möchten wir uns aber auch in unserer Freizeit und in unseren Kaufentscheidungen mittlerweile immer weniger als passive Verbraucher*innen verstehen. Gerade dort, wo ein gewisses Maß an Wohlstand fast schon als Selbstverständlichkeit erscheint, legen wir gesellschaftlich im globalen Vergleich auch immer größeren Wert auf Einblick: in politische Prozesse, in gesundheitliche Prozesse (auf individueller ebenso wie kollektiver Ebene) und immer mehr auch in wirtschaftliche Prozesse.
Wenn es unsere Lebenssituation ermöglicht, möchten wir wissen, woher ein Produkt kommt, unter welchen Bedingungen und aus welchen Materialien es produziert wurde, welchen Weg es danach zurückgelegt hat, wohin es nach seiner Nutzungszeit verschwinden wird. Und wenn all diese Neugier mit zufriedenstellenden Antworten gestillt werden will, steigt damit in aller Regel der Produktionsaufwand und die entsprechenden Kosten. Für ein hochwertiges, ‚nachhaltig‘ und ‚fair‘ produziertes Erzeugnis mehr auszugeben, können oder wollen sich aber auch in den globalen Wohlstandszonen bei weitem nicht alle Menschen leisten.
Gleichzeitig entdecken wiederum viele von uns eine spielerische Begeisterung fürs Selbermachen oder auch für „gutes, altes“ Handwerk – nicht unbedingt aus zwingender Notwendigkeit, wie in den „guten, alten“ Zeiten, sondern primär aus Freude am Schaffen, Interesse am Können und Begeisterung dafür, mit diesem selbst Geschaffenen dann einen besonderen, bewussteren Umgang zu pflegen. Ganz ähnlich erleben wir es ja auch mit Nahrungsmitteln, wenn wir sie selbst angebaut, gezüchtet oder zubereitet haben. Wir geraten damit wieder ‚in touch‘ mit manchen Abläufen und nützlichen Dingen, die uns tagtäglich umgeben. Das geschieht nicht einfach nur aus irgendeiner nostalgischen Verklärung, gar nicht selten werden dabei ausgerechnet bestimmte Errungenschaften des Digitalzeitalters zum Einsatz gebracht, sei’s für menschlichen Informationsaustausch in Form von Anleitungen und Tutorials, oder technische Produktionsmittel wie Lasercutter, CNC-Fräsmaschinen und die vielgepriesenen 3D-Drucker zur Eigenfertigung von Gegenständen.
Mit direktem Bezug lässt sich dabei erleben, welche unschätzbaren Vorteile uns gewisse technische Mittel heute bieten können. Und sogar wenn dabei etwas mal nicht gelingen sollte, war’s keine verschwendete Zeit: Erfahrung lehrt, ein Fehlversuch manchmal noch viel mehr als ein sofortiger Erfolg. Zudem können wir aus all diesen Erfahrungen lernen, auch als Konsument*innen wesentlich aufmerksamer zu werden, vielleicht genauer hinzuschauen bevor wir eine Kaufentscheidung treffen oder etwas achtlos entsorgen.
Man muss nicht unbedingt Profi sein, um erleben zu können, wie gut es sich anfühlt, etwas Nützliches oder Liebgewonnenes vielleicht mit wenigen Handgriffen reparieren zu können, nachdem man sich etwas näher damit beschäftigt hat. Darüber hinaus wurzeln unzählige Innovationen in genau dieser Art von angeregter Beschäftigung. Mut zum Selbermachen kann nicht zuletzt in verschiedenster Weise wunderbar dabei helfen, eine ganze Menge Geld zu sparen: durch eigenhändige Instandhaltung, Upcycling oder wenn in der Preisgestaltung eines Produktes die letzten Schritte der Endfertigung den Kund*innen anvertraut werden können (siehe u.a. IKEA).
Ein Weg zeichnet sich damit für uns ab, der den Anforderungen des 21. Jahrhunderts in verschiedener Hinsicht wirklich gerecht werden könnte: Eine Symbiose aus zeitgemäßer industrieller Massenfertigung, d.h. verantwortungsbewusst und transparent, und aktivierender Miteinbeziehung der Nutzer*innen, die ihrerseits zunehmend Zweifel zeigen an unhinterfragten Vorstellungen von einem Konsumparadies des 20. Jahrhunderts. Die Produktionsmöglichkeiten unserer Zeit können sowohl Fluch als auch Segen sein; je mehr wir uns von diesen entfremden lassen, umso mehr werden wir deren Auswirkungen zu fürchten haben. Die Rechnung dafür ist vermutlich wesentlich höher, als wir jemals wirklich bezahlen könnten. Alternativen kosten in erster Linie eines: unsere aufmerksame Teilhabe.
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